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Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Der Ausschuss Klimaschutz und Nachhaltigkeit der Architektenkammer Niedersachsen hat sieben Thesen zum klimagerechten Planen und Bauen erarbeitet und in einem Papier zusammengefasst.

Mit dem vorliegenden Papier fokussiert sich der Ausschuss auf die Handlungsmöglichkeiten der Kammermitglieder. So möchte er den Berufsstand anregen, selbst aktiv zu sein und Nachhaltigkeit und Klimaschutz im beruflichen Alltag zu kommunizieren, voranzutreiben und praktisch umzusetzen. Als gemeinsame Grundlage sollen die sieben Thesen bei den Mitgliedern als Argumentationshilfe für mehr Schlagkraft sorgen, um das nachhaltige und klimagerechte Planen und Bauen durch den Berufsstand weiter voranzutreiben.

Zudem möchte der Ausschuss auf der erreichten Grundlage weiterarbeiten und aus den Thesen in einem nächsten Schritt Materialien für unterschiedliche Zielgruppen entwickeln.

7 Thesen zum nachhaltigen Planen und Bauen

Die Diskussion um Klimaschutz und Nachhaltigkeit tritt in eine entscheidende Phase. Unser aller verbleibender Handlungsspielraum reduziert sich in rasantem Tempo, je länger wir warten, desto schwieriger und teurer wird es, mit den Folgen umzugehen. Immer mehr Einzelpersonen und Gruppen beziehen daher Stellung zu diesem existenziell bedrohlichen Thema. Wie sie fordern auch wir ein aktives und akutes Handeln für eine nachhaltige und klimagerechte Lebens- und Wirtschaftsweise.

Der Bausektor trägt maßgeblich zur heutigen Umweltsituation bei: Vom Flächenverbrauch, der Rohstoffgewinnung, der Objektherstellung, dem Betrieb bis zur Entsorgung spielt er eine wesentliche Rolle. Bezogen auf die Privathaushalte in Deutschland verursacht das Wohnen 37,5 Prozent der CO2-Emissionen, der Verkehr liegt bei 25 Prozent. (Quelle: Statistisches Bundesamt, Umweltökonomische Gesamtrechnungen 2014, Stand 2011)

Die in der Architektenkammer Niedersachsen vertretenen Berufsangehörigen aus Architektur, Landschaftsarchitektur, Innenarchitektur und Stadtplanung setzen mit ihrer Fachkompetenz und einem verantwortungsvollen Handeln zukünftig noch deutlichere Impulse für eine nachhaltigere und klimagerechtere Lebens- und Wirtschaftsweise. Die niedersächsischen Architektinnen und Architekten sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Nur durch eine ganzheitliche Sichtweise, die ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Anforderungen gleichermaßen einbezieht, kann das Planen und Bauen zukunfts- und klimagerecht werden. In dem erforderlichen Umformungsprozess unserer Gesellschaft wollen die Mitglieder der Architektenkammer Niedersachsen in den Städten und Dörfern

  • die Zukunft aktiv mitgestalten und an einem positiven Wandel in unserer Gesellschaft mitwirken,
  • vorhandene Qualitäten erhalten – seien es architektonisch erhaltenswerte Gebäude, funktionierende Quartiere mit gefestigten Nachbarschaftsstrukturen, klimaregulierende und naturrelevante Grünbereiche und Frischluftschneisen oder auch qualitätvolle Frei- und Landschaftsräume,
  • eine ressourcenschonende Bauweise und eine nachhaltige Umweltentwicklung vorantreiben,
  • mit Offenheit und Gestaltungswillen einer neuen nachhaltigen Lebensweise Raum geben – und
  • mit Mut zum Experimentieren neue und innovative Lösungen entwickeln.


Für die praktische Tätigkeit heißt dies, eine klimagerechte Bauweise zu etablieren, indem

  • Gebäude und Quartiere, aber auch Landschafts- und Naturräume langfristig gedacht werden,
  • in die ökonomische Betrachtung auch Klimaanpassungsfolgekosten einfließen,
  • Aspekte der Alterungsfähigkeit, Nutzungsflexibilität und Anpassungsfähigkeit berücksichtigt und
  • zukunftsorientierte Baustandards entwickelt werden.

Wir stehen an einem Punkt, an dem wir die Welt neu und positiv gestalten müssen – und (noch) können. Wir müssen alternative Handlungsoptionen aufzeigen, um ein nachhaltiges Handeln positiv zu verankern. Nur durch Hinterfragen des Etablierten und neues Denken und Handeln entstehen Chancen auf ein besseres Leben und bessere Lebensräume für uns alle.

Die 10.000 in der Architektenkammer Niedersachsen eingetragenen Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner stehen bei der Ausübung ihres Berufs daher für die folgenden fachübergreifenden

7 Thesen zum nachhaltigen Planen und Bauen

Wir sprechen uns für die Integration von Nachhaltigkeitsstrategien in allen administrativen und legislativen Abläufen aus. Je frühzeitiger im Prozess die Weichen für eine nachhaltige und interdisziplinäre Planung gestellt werden, desto wirkungsvoller kann sich diese entfalten.

  • Bevor konkrete Maßnahmen für eine klimagerechte Umsetzung eines Bauvorhabens festgelegt werden, sollte bei einer Planung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung immer der jeweilig übergeordnete Bezug betrachtet werden: die Region, die Gemeinde, das Quartier.
  • Der Einfluss von Planungen und Vorhaben auf die Nachhaltigkeit ist in der kleinmaßstäblichen Planung besonders groß, denn in dieser Phase werden Stellschrauben, Potenziale und Grenzen für sämtliche aufbauende Planungsund Umsetzungsschritte festgelegt. Klimaneutralität und Nachhaltigkeit sollten daher zukünftig sämtliche Maßstäbe beim Planen und Bauen bestimmen und in jeder Phase mit Konzepten und Festlegungen für die Folgeebene forcieren. Durch eine frühzeitige, umfassende Betrachtung werden die Potenziale für eine nachhaltige Planung, Bebauung und Weiterentwicklung von städtischem und ländlichem Raum gestärkt.
  • Ein „Beirat“ aus unabhängigen Fachleuten – wie Stadtplanern, Architekten und Landschaftsarchitekten – soll eingerichtet werden, um von den Entscheidern (Politik, Bauherren) vor Projektbeginn (Phase 0) hinzugezogen zu werden. Dieser gibt Anregungen für die integrierte Stadtentwicklungsplanung und kann somit Impulse für mehr Qualität, Klimaschutz, Innovation und geringere Kosten bei Mobilität, Gebäuden, Freiraum- und Stadtgestaltung geben.

Klimaneutralität erreichen wir nur, wenn erheblich weniger CO2 verursacht wird und natürliche CO2-Speicher erhalten bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine ganzheitliche Betrachtung unabdingbar. Diese umfasst sämtliche Phasen des Lebenszyklus und reicht von der integrierten Stadtplanung bis zu einer auf Nachhaltigkeit bedachten Detailplanung jeglicher Baumaßnahmen.

  • Natur- oder Landschaftsräume haben einen unwiederbringlichen Wert und speichern zudem hohe Mengen CO2. Der Fokus der baulichen Entwicklung muss daher auf bereits erschlossenen oder bebauten Flächen liegen, um eine weitere Versiegelung zu vermeiden. Nur intelligente Planungen, verantwortungsbewusste Entscheidungen und gesetzliche Vorgaben ermöglichen eine optimale Flächennutzung.
  • Wir unterstützen eine Stadt- und Ortsentwicklung der kurzen Wege. Städte und Regionen sollten für eine neue klimafreundliche Mobilität umgebaut werden. Öffentliche und unmotorisierte individuelle Mobilitätsformen wie ÖPNV, Fußgängeroder Radfahrverkehr müssen aufgewertet und klimaneutrale Mobilitätsformen der Zukunft gefördert werden. Erforderlich ist für diese Verkehrsteilnehmer ein leistungsstarkes Mobilitätsnetz, das attraktiv, nutzergerecht und sicher gestaltet ist. (vgl. u.a. Andreas Røhl 2018, From niche to mainstream-Cycling in Copenhagen with a Düsseldorf twist, Düsseldorfer Fahrradkongress, 15.05.2018)
  • Für sämtliche Bauprojekte muss eine Gesamt-CO2-Bilanz ausgewiesen werden, die den Lebenszyklus umfassend einbezieht. Beispielsweise sollten bei Gebäuden die Informationen des Energieausweises zur Energieeffizienz in der Nutzungsphase um die Angaben zur Gesamt-CO2-Bilanz ergänzt werden. Denn im Bausektor wird ein Teil des CO2 durch Herstellung, Transport und Entsorgung der eingesetzten Bauprodukte im Bauprozess und während des gesamten Lebenszyklus verursacht.
  • Klimaneutralität wird nur durch das Zusammenspiel ineinandergreifender Maßnahmen erreicht. Ein nachhaltiges Gebäude zeichnet sich dadurch aus, dass Entwurf und Detail, Gebäudehülle und Haustechnik optimal miteinander harmonieren – und das System „Gebäude“ in seinem Kontext als Ganzes betrachtet wird.
  • 2050 müssen unsere Gebäude klimaneutral sein. Um dies ohne überhöhte Umbauund Nachrüstkosten zu realisieren, sind jetzt konkrete, vorhabenbezogene Konzepte zur Erreichung dieses Ziels notwendig. Im Planungsprozess sollte für jedes Vorhaben – von der Stadtplanungs- bis zur Objektebene – eine Zielkompatibilität mit der beschlossenen CO2-Neutralität im Jahr 2050 nachgewiesen und in einem Strategiepapier dargestellt werden.

Bei der Wahrnehmung unserer Berufsaufgaben setzen wir uns für einen zukunftsbewussten Wertewandel hin zu Suffizienz, Konsistenz und Effizienz ein und integrieren diese drei Werte zukünftig gleichermaßen in sämtliche Planungsschritte.

  • Qualität statt Quantität: Weniger, aber besser bedeutet Suffizienz mit Mehrwert, weil kluge Konzepte und qualitätvolles Bauen die Kosten senken, weniger Ressourcen benötigen und gleichzeitig einen Komfortgewinn bedeuten.
  • In der Gebäudekonstruktion steckt ein hohes Maß an gebundener Energie, die so genannte „Graue Energie“, die ursprünglich erforderlich war, um Baustoffe wie Stahl, Zement und Ziegel herzustellen, zu transportieren und einzubauen. Diese „Graue Energie“ muss zukünftig verbindlich in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden und der Erhalt des Bestandes einen deutlich höheren Stellenwert im Planungsprozess einnehmen.
  • Die Weiter- und Umnutzung des Bestands muss Priorität genießen, die Wiederverwertung jeglicher Bauprodukte möglich sein und zuletzt mindestens ein stoffliches Recycling durchgeführt werden. Gebäude abzubrechen, auch wenn der Bauschutt vielleicht sogar zum Teil wiederverwendet wird, verursacht erhebliche Verluste an Ressourcen und „Grauer Energie“.
  • Für die Erreichung einer größtmöglichen Konsistenz müssen die eingesetzten Bauprodukte alterungsfähig, reparierbar und trennbar sein, um die vorhandenen Ressourcen zu schonen und Weiter- und Wiederverwendbarkeit zu ermöglichen. Entsprechende Bauprodukte, eine bedachte Ausführungsplanung und Umsetzung und ein verantwortungsbewusstes Handeln auch am Ende der Lebensdauer der verwendeten Baustoffe stellen dies sicher.
  • Der Vergleich und die Bewertung der CO2-Bilanzen unterschiedlicher Baustoffe und Bauteilaufbauten müssen für Planer leicht nachvollziehbar und jederzeit dokumentierbar sein. Der Gesetzgeber muss Standards vorgeben, damit die Produkte hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit untereinander vergleichbar sind.
  • Die Verwendung von Baustoffen und -elementen aus nachwachsenden Rohstoffen muss eine deutlich höhere Beachtung finden.
  • Ein nachhaltiges und hochenergieeffizientes Gebäude entsteht, wenn bauliche Maßnahmen und Haustechnik so aufeinander abgestimmt werden, dass die eingesetzte Technik hocheffizient und trotzdem einfach, nutzergerecht und fehlerarm ist.

Wir sprechen uns für die Hinterfragung bestehender Normen und Gesetzgebungen sowie der Relativierung der Schutzziele aus. Transparenz und Vereinfachung sind wichtige Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität.

  • Gesetze und Vorgaben müssen inhaltlich so gestaltet werden, dass sie die Klimaziele auf allen Ebenen unterstützen. Eine grundlegende Überarbeitung durch eine Neustrukturierung und -entwicklung der gesetzlichen und normativen Vorgaben kann das Bauen wieder kostengünstiger, suffizienter und praktikabler machen. Bestehende Regelungen sollten losgelöst von produktabhängigen Lobbygruppen geprüft und bei Bedarf neu formuliert werden. Auf diese Weise können wir nachhaltige Lösungen wirkungsvoll umsetzen und innovativen Lösungen gesetzlich den erforderlichen Raum geben.
  • Gesellschaftliche Entwicklungen und juristische Entscheidungen führten zuletzt zu einem stetig wachsenden Absicherungsdenken im Baubereich, welches sich in steigenden Anforderungen zeigt. Stellen wir uns der Verantwortung und begegnen wir unserem eigenen Absicherungsbedürfnis durch die Stärkung der Selbstverantwortung, um die Erreichung der Klimaziele nicht zu hemmen. Verschlanken wir unsere Vorgaben und reduzieren wir unser Anforderungsniveau in den Bereichen, die dem Klimaschutz entgegenstehen.

Wir setzen uns für eine umfassende Bildung und Aufklärung zu den Konsequenzen und Ursachen der Erderwärmung und der Umsetzung einer nachhaltigen Lebensweise ein – und dies nicht nur für Planer und Entscheidungsträger, sondern für sämtliche Bevölkerungs- und
Altersgruppen.

  • In sämtlichen Schul- und Lehrformen muss im Sinne eines lebenslangen Lernens ein Verständnis für klimagerechtes Denken und Handeln dauerhaft verankert und dabei auch die Bedeutung einer nachhaltigen Architektur vermittelt werden.
  • Zukünftigen Architekten, Innen- und Landschaftsarchitekten sowie Stadtplanern sind an den Hochschulen die Anforderungen des nachhaltigen Planens und Bauens nicht nur punktuell, sondern im gesamten Lehrplan konsequent vernetzt zu vermitteln, damit diese Grundlage jeglichen Planens und Bauens werden.
  • Neben einer Drittmittelfinanzierung muss auch eine unabhängige Forschung von Seiten des Landes finanziert werden, um Innovationen und Weiterentwicklungen für eine nachhaltigere Stadtplanung und Architektur, losgelöst von Interessen der Wirtschaftsgruppen, zu fördern.
  • Sämtliche am Bau beteiligte Personen von der Planung bis zur Umsetzung bedürfen berufsbegleitend einer umfassenden Schulung in klimagerechtem und nachhaltigem Bauen sowie den damit verbundenen Bauweisen und -techniken.

Architekten, Landschaftsarchitekten, Innenarchitekten und Stadtplaner werden zu Moderatoren für eine interdisziplinär geplante, klimagerechte und nachhaltige Umwelt.

  • Wir bringen unsere beruflichen Kompetenzen für eine klimagerechte und nachhaltige Bauweise und Umweltgestaltung aktiv in alle Ebenen des Planens und Bauens ein.
  • Als unabhängige Generalisten entwickeln wir die nötigen Strategien und bereiten sie im übergreifenden Kontext der Stadt-, Landschafts- und Freiraumplanung konzeptionell vor, integrieren die verschiedenen Planungsaspekte, Inhalte und Prozesse und begleiten diese selbstkritisch und interdisziplinär.

Die aktuellen Herausforderungen lassen sich nur mit gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz realisieren. Sämtliche relevanten Akteure sind im Planungsprozess einzubeziehen und neben Politik, Wirtschaft und Handwerk ist auch die Bevölkerung in geeigneter Form zu berücksichtigen. Hierfür empfehlen wir, zeitgemäße und konsensorientierte Formate zu entwickeln.

Für die Architektenkammer Niedersachsen bedeutet nachhaltiges, klimaneutrales Planen und Bauen:

Umdenken,
Weiterdenken,
Vorausdenken
und
verantwortlich handeln!

Initiative Phase Nachhaltigkeit

Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen hat die Bundesarchitektenkammer die Initiative „Phase Nachhaltigkeit“ gestartet mit dem Ziel, Planerinnen und Planer bei der Transformation der Planungspraxis hin zu „Nachhaltigkeit als neues Normal“ zu unterstützen. Die dazugehörige Deklaration Nachhaltigkeit unterstützt dabei die individuelle und projektbezogene Ziel- und Schwerpunktdefinition. Mehr erfahren...

Kontakt
Architektin Dipl.-Ing. Susanne de Vries
Referentin
+49 511 28096-60

7 Thesen

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Thesenpapier