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Suffizienz als Paradigma: Erkenntnisse aus dem Modellprojekt „Einfach gut!“

Prof. Sven Martens

Angesichts steigender Baukosten, des dramatischen Fachkräftemangels und immer strengerer Bauvorschriften erscheint der Ruf nach „einfachen Lösungen“ verlockend. Das Modellprojekt „Einfach gut!“, das 2022 zusammen mit der NBank, dem vdw Niedersachsen Bremen und dem Land Niedersachsen gestartet wurde, steht unter der Leitung der Architektenkammer Niedersachsen und präsentiert Suffizienz – das Prinzip des bewussten Weniger – als Möglichkeit für nachhaltiges und kostengünstiges Bauen. Doch ist der Weg der Reduktion tatsächlich ein zukunftsfähiges Rezept, oder birgt er Risiken für die Qualität des Wohnens?

 

Der Mythos des „Einfachen“

Die Idee, durch vereinfachte Bauweisen den Wohnungsmarkt zu entlasten, klingt zunächst bestechend. Standardisierte Grundrisse, reduzierte Materialvielfalt und der Verzicht auf z.B. Keller, Balkone oder Aufzüge sollen die Baukosten senken. Doch zeigt sich hier auch ein kritischer Punkt: allzu grobe Vereinfachung droht, zur Einheitsarchitektur zu führen, die individuellen Wohnbedürfnissen wenig Spielraum lässt. Die Frage drängt sich auf, ob der Wunsch nach Suffizienz nicht in einem uniformen, monotonen Wohnumfeld endet.

Das Bestreben, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist nicht neu – schon vor 100 Jahren versuchten Architekten wie z.B. Otto Haesler (1880-1962) mit Siedlungen wie der in Celle/Blumlägerfeld, kostengünstigen Wohnraum für alle zu schaffen.

Natürlich kann man die Konzepte von damals nicht eins zu eins in die heutige Zeit übernehmen – Gesellschaft verändert sich und genauso verändern sich auch Wohnformen. Hier ist ein kritisches Hinterfragen statt bloßer Pflichterfüllung oder sogar Übererfüllung gefragt. Wir sollten uns angewöhnen, von Systemlösungen, die ein „rundum-sorglos-Paket“ anbieten, abzurücken und unsere konstruktiven Kenntnisse nutzen, um zu einfachen, auf den jeweiligen Einsatzbereich ausgerichteten Detaillösungen zu gelangen.

 

„Einfach gut!“ – Ein Modellprojekt mit Weitblick

Das Modellprojekt „Einfach gut!“ setzt genau hier an. Es vereint Akteure aus Planung und Bauwirtschaft, um innovative Lösungen für den Wohnungsbau der Zukunft zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht die Idee, dass Suffizienz nicht Verzicht bedeutet, sondern eine Qualität des Wesentlichen. Die Projekte zeigen, wie durch kompakte Grundrisse, kluge Materialwahl und gemeinschaftliche Infrastruktur nachhaltige und zugleich lebenswerte Wohnräume entstehen können. Eine bewusste Reduzierung auf das Notwendige kann ein Leitbild für kostengünstiges und Nachhaltiges Bauen sein.

 

Quartiersplanung: Suffizienz im größeren Kontext

Ein Ansatz des Projekts ist, Suffizienz nicht nur auf das einzelne Gebäude zu beschränken, sondern in die Quartiersplanung zu integrieren. Gemeinsame Flächen, effiziente Infrastrukturen und soziale Treffpunkte können tatsächlich Ressourcen schonen und die Lebensqualität erhöhen.

 

Weniger ist mehr – oder doch weniger?

Das Mantra „Weniger ist mehr“ klingt überzeugend, doch es bedarf differenzierter Betrachtung. So mag beispielsweise der Verzicht auf Fahrstühle Kosten sparen, ist jedoch ein Rückschritt in puncto Barrierefreiheit.

 

Fazit: Suffizienz braucht Balance

Suffizienz als Bauprinzip ist kein Allheilmittel. Sie kann einen wertvollen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, wenn sie klug und mit Augenmaß angewendet wird. Der Schlüssel liegt in der Balance zwischen ökologischer Verantwortung, sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft. Statt blindem Minimalismus braucht es differenzierte Konzepte, die nicht nur Kosten, sondern auch die Lebensqualität im Blick haben. Es gilt, Lebensräume zu schaffen, die von den Bewohnern geliebt und gepflegt werden, denn dann werden sie lange genutzt – und eine lange Nutzungsdauer ist der einfachste Weg zur Nachhaltigkeit. Eine lange Nutzungsdauer bedingt wiederum „einfache“ Systeme, die sich reparieren und umnutzen lassen.

Trotz aller Herausforderungen zeigt das Projekt „Einfach gut!“, dass der Wohnungsbau der Zukunft nicht nur effizient, sondern auch kreativ und gemeinschaftsfördernd gestaltet werden kann und muss. Der Mut zur Reduktion eröffnet neue Perspektiven für eine Baukultur, die den Menschen und seine Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Mit einem offenen Dialog zwischen allen Beteiligten, innovativen Ideen und der Bereitschaft, neue Wege zu gehen, kann Suffizienz zu einem echten Motor für nachhaltigen Wohnraum werden. Die Zukunft des Wohnens liegt nicht im Verzicht, sondern in der intelligenten Gestaltung des Wesentlichen.

 

Miteinander statt gegeneinander!

Wir brauchen eine neue Planungskultur: weg von einer Checklistenmentalität hin zu Abwägungsprozessen. Wenn wir den Klimaschutz als oberstes Schutzziel definieren, bietet das die Chance, andere Schutzziele neu zu bewerten. Nur wenn Planende, Bauherren, Behörden und ausführende Firmen eng zusammenarbeiten, kann dies gelingen.

 

Sven Marten
Architekt Prof. Dipl.-Ing. 
Architektenkammer Niedersachsen