einfach_gut_wohnen - Workshops zum Gebäudetyp-e mit den niedersächsischen Architekturfakultäten auf der Zielgeraden
Andreas Rauterberg - Architektenkammer Niedersachsen
In Deutschland mangelt es an Wohnraum, und es mangelt noch mehr an bezahlbarem Wohnraum. Es gibt zwar selbst in den Ballungsräumen durchaus auch Leerstände, doch diese wurden zuletzt oft an den Möglichkeiten der Miet- und Kaufinteressenten vorbei gebaut: Neubauten, mit hohen Ansprüchen an Nachhaltigkeit, Gestaltung und städtebauliches Konzept errichtet, sind inzwischen so teuer, dass sie offensichtlich kaum noch Antwort auf die lange bekannten Engpässe liefern. Alle Anstrengungen, einen entsprechenden Mix mit geförderten und damit bezahlbaren Wohnungen hinzubekommen, führen dazu, dass eine Querfinanzierung über frei finanzierte Wohnungen erfolgt, die damit nochmals teurer werden müssen. Die Spirale scheint kein Ende zu finden.
Der mitunter um sich greifenden Rat- und Hilflosigkeit stehen aber durchaus auch Ideen und Ansätze gegenüber. Als Berufsstand wissen wir ja, wo das Geld für unsere Bauten verschwindet. Wir wissen über die permanent zunehmenden Anforderungen an das Bauen. Brandschutz, Schallschutz, Barrierefreiheit wie auch allgemein gestiegene Komfortansprüche. Und so bauen wir definitiv aufwendiger und vor allem mit weit mehr Fläche als vor 20 oder 30 Jahren. Die Steigerung des Prokopfbedarfs innerhalb dieser Jahrzehnte liegt inzwischen bei 40 %. Hier gilt es, entsprechende Wohnungstypen insbesondere für Alleinstehende zu entwickeln, die Gegenmodelle zu diesem erheblichen Flächenbedarf aufzeigen.
Hinsichtlich der Baustandards ist es inzwischen vor allem das Stichwort „Gebäudetyp-e“, das als erfolgversprechend angesehen wird. Dieser ursprünglich von der Bayerischen Architektenkammer entwickelte Ansatz wird seither auch auf höchster bundespolitischer Ebene diskutiert. Und so möchte auch die niedersächsische Landesregierung den Ansatz weiterverfolgen, Vereinbarungen zwischen professionellen Bauherren und ihren Architekten zur freiwilligen Reduktion von insbesondere Komfortstandards zu ermöglichen.
Um Konzepte und Ideen einer tatsächlichen Umsetzung zu sammeln, wurde daher die Architektenkammer Niedersachsen damit beauftragt, ein studentisches Workshopverfahren zu organisieren. Frei nach dem Motto „Spiel ohne Grenzen“ – ältere Semester erinnern sich noch an eine mitunter chaotische, aber fröhliche internationale Spielshow – sollte es darum gehen, experimentell zu denken und konkrete Ideen aufzuzeigen, wie einfaches und kostengünstiges Bauen aussehen könnte. Mit studentischer Freude und Freiheit und ohne die bei Praktikern vorhandene Schere im Kopf, die im Geflecht aus Abstandsregeln, bauaufsichtlich eingeführten DIN-Normen, Regeln der anerkannten Technik und vertraglichen Haftungsklauseln Entwürfe oft schon von Vorneherein nicht mehr aus den gewohnten Bahnen ausscheren lassen möchte.
einfach gut!
Die Architektenkammer hat die Gelegenheit genutzt und die Querverbindung zum Kammerprojekt „einfach gut!“ gesucht, bei dem seit mehreren Jahren einige ausgewählte niedersächsische Wohnungsbauprojekte im Hinblick auf Vereinfachungen untersucht und begleitet werden. So wurden drei der dort gegebenen Aufgabenstellungen an die Hochschulen gegeben und als Semesterprojekt – und einmal auch als Bachelorthesis – unter dem erweiterten Titel „einfach_gut_wohnen“ bearbeitet.
In fünf Workshops mit fünf Hochschulen wurden dabei Praktiker und Hochschulen zusammengeführt, und bei einem Abschlussworkshop im Oktober haben schlussendlich alle beteiligten Hochschulen ihre Ergebnisse an der Leibniz Universität Hannover ausgestellt und im Rahmen der Vortragsreihe „dienstags um sechs“ präsentiert. Tatsächlich sind auf diesem Wege erstmalig alle fünf Architekturfakultäten in Niedersachsen in einem Projekt zusammengeführt und in den Austausch gebracht worden. TU Braunschweig, Leibniz Universität Hannover, HAWK Hildesheim, Jade Hochschule Oldenburg und die private Hochschule 21 in Buxtehude haben sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln an die Aufgabenstellungen herangewagt, und entsprechend unterschiedliche Ergebnisse vorgelegt, die aber – zum Beispiel bei der Bewertung des Bauens mit dem Bestand – auch immer wieder gleiche Positionen durchblicken ließen.
Abschlussbericht
Neben dem ungewöhnlichen Format des Projektes sind es tatsächlich eine Reihe von zum Teil ungewöhnlichen Vorschlägen, die hängen bleiben. Von extrem reduzierten Geschosshöhen über steile Treppen, elementierte Fassaden und seriellen Konzepten hin zu unkonventionellen Wohnungstypen, die neue Formate des gemeinsamen Wohnens ermöglichen, zeigen 44 Arbeiten einiges, was gehen könnte – und auch einiges, was vielleicht so (noch) nicht geht, aber als Ansatz für Neues taugen könnte. Diese Erkenntnisse werden aktuell durch das verfahrensbegleitende Büro cmas (carsten meier architekten stadtplaner) in einem Abschlussbericht zusammengefasst und bewertet, der bis zum Ende des Jahres Bauminister Olaf Lies zur Verfügung stehen wird.
Das Modell Gebäudetyp-e, das de facto kein wirklicher neuer Gebäudetyp, sondern eigentlich eine neue Vertragskonstellation ist, hat auf diese Weise tatsächlich ein konkreteres Gesicht bekommen, das die Idee hoffentlich auch in Niedersachsen voranbringen wird. Der Fachbeirat des Projektes „einfach gut!“, der für die Diskussion und Bewertung der Ergebnisse verantwortlich zeichnet, hat es sich allerdings auch nicht nehmen lassen, einiges zu den Rahmenbedingungen auf ganz anderer Ebene zu sagen: Modelle des gemeinnützigen Wohnungsbaus, die (wieder) zu entwickeln und zu stärken seien, die Bodenfrage, die auf politischer und stadtplanerischer Ebene zu diskutieren sei, überhaupt die Abwägungs- und Aushandlungsprozesse, denen man sich widmen müsse und ohne die kostengünstiger Wohnungsbau im nachverdichteten Bestand schlichtweg unmöglich sei. Es müssen einige dicke Bretter gebohrt werden, die gleichwohl keinerlei substanziellen Widerspruch auslösen bei allen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Eigentlich muss man nur noch anfangen!
Andreas Rauterberg
Architekt Dipl.-Ing.
Hauptreferent
Architektenkammer Niedersachsen