Baurechtliche Impulse aus dem “Einfach-gut!”-Projekt
Gavin Ennulat
Kammer-Jurist Gavin Ennulat fasst in einem Artikel die gegebenen Denk- und Interpretationsanstöße aus dem Modellprojekt aus juristischer Sicht zusammen.
1. Barrierefreies Bauen
An mehreren Stellen im Projektverlauf zeigte sich, dass Ideen zum material-, kosten und wohnflächensparenden Bauen bedeutend durch die Regeln der Barrierefreiheit beeinträchtigt werden. Bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als vier Wohnungen, müssen die Vorgaben der bauordnungsrechtlich größtenteils eingeführten Norm DIN 18040-2 eingehalten werden. Die Bewegungsradien oder auch Breiten für Flure sorgen dafür, dass Planer einige Quadratmeter der Wohnung für Bewegungsflächen verplanen müssen, die dann unpraktikable Wohnungsschnitte erzwingen.
Noch problematischer sind die rollstuhlgerechten Wohnungen. Durch noch größer dimensionierte Bewegungsflächen entsteht das Problem, dass Versorgungsstränge nicht stockwerkübergreifend von unten nach oben durchgeführt werden können. Die Mehrkosten sind beträchtlich und stehen attraktiven Raumschnitten entgegen.
Diese Nachteile könnten durch folgende Ideen abgemildert werden:
- Bedarfsorientierte Anhebung der Quote der rollstuhlgerechten Wohnungen
- Quartiersbetrachtete Berücksichtigung der Quote (ein Haus vollständig rollstuhlgerecht, vier andere gar nicht)
- Barrierefreiheit nur für Erdgeschosswohnungen, um Fahrstuhl zu vermeiden
2. Aufenthaltsraum
Die Vorgabe der § 43 NBauO der lichten Höhe von mind. 2,40m über 2/3 der Grundfläche für Aufenthaltsräume limitiert die Flexibilität beim sparsamen Bauen. So wurde im Rahmen der Einfach Gut-Wohnen Präsentationen durch Studierende ein mehrstöckiges Gebäude geplant, welches bei einer Deckenhöhe von 2,20m ein zusätzliches Stockwerk erhalten könnte, ohne die Außenmaße ändern zu müssen.
3. Förderkulisse
Günstiges Bauen wird meist mit Fördermitteln gewährleistet. Die Förderbindungen verhindern aber eine konsequente Kostenreduktion und verfehlen damit ihr eigentliches Ziel.
Beispiele:
- Gemeinschaftsräume sind nicht förderfähig, sind aber meist ein zentraler Teil eines Konzeptes zum größenreduzierten Wohnen.
- Es werden nur Effizienzhaus 40 NH – Gebäude gefördert, die sehr hohen Materialeinsatz erfordern, um die Zertifizierung zu erhalten.
- Umbauen im Bestand erfordert höhere Planungskosten seitens des Architekten. Diese Kosten sollte förderfähig sein, um Bestandsbauen attraktiver zu gestalten.
- Kinderzimmer sind nur förderfähig ab einer bestimmten Raumgröße. Dies schränkt die Planungsflexibilität ein.
4. Lärmschutz
Fenster an vielbefahrenden Straßen, Bahntrassen oder Flugschneisen müssen hohe lärmdämmende Standards erfüllen. Der materielle Aufwand wird insbesondere dann erheblich, wenn nachts ein Luftaustausch und gleichzeitig der Lärmschutz eingehalten werden soll, z.B. mit kostenintensiven Hafencity-Fenstern an der Marienstraße in Hannover. Anhand der Eisenbahn ist erkennbar, dass bauliche Maßnahmen am Schienennetz und der Zugtechnik erheblich Lärm-Emissionen reduzieren konnten. Aus der Arbeitsgruppe wurde daher hinterfragt, ob das Gebäude allein den Lärmschutz erzielen muss oder ob nicht die lärmerzeugenden Umstände stärker betrachtet werden müssen. Die Umwandlung von Straßen in verkehrsberuhigte Zonen oder Fahrradstraßen, Verbrennerfahrzeug-Verbot, Nacht-Lkw-Verbot, schallschluckende Bepflanzung reduziert Baukosten in den Wohneinheiten. Zudem beschränkt der Lärmleitfaden die Grundrissgestaltung.
Zum Erreichen der DIN 4109-Anforderungen müssen die Treppenläufe und Treppenzwischenpodeste entkoppelt aufgelagert und auch von der Treppenraumwand entkoppelt aufgelagert werden (z. mittels Tronsolen). Im Bestand ist dies nicht gegeben. Den Trittschall verbessernde Bodenbeläge dürfen nach DIN 4109 nicht angerechnet werden. Ziel sollte eine Anrechenbarkeit von Bodenbelägen sein, sowie die Festlegung geeigneter Zielwerte.
5. Abstellraum
In größeren Wohnanlagen ist die Konkretisierung des § 26 DVO-NBauO auf mindestens insgesamt 6 m² Grundfläche ein relevanter Kostenfaktor.
Es wird die Frage aufgeworfen, ob Abstellraum ein bauordnungsrechtlich zu regelndes Thema ist und ob Lockerungen (z.B. Schränke in Laubengängern, überdachte Stellflächen) nicht als adäquater Ersatz möglich sein sollten.
6. Abweichungsturbo
Ein Bauzeitenverzögerer ist die langwierige Abstimmung der Beteiligten mit Abweichungen. Dies wurde auch in der Gruppe erörtert. Im Zuge der Umbauordnung wurde der § 66 NBauO nun verändert und könnte vielleicht die Forderungen aufgreifen.
7. Multinutzung
Eine erhebliche Anzahl von Baumaßnahmen und Verwaltungsverfahren befassen sich mit der Nutzungsänderung baulicher Anlagen. Der damit verbundene zeitliche, bürokratische und finanzielle Aufwand hält Bauherren davon ab, auf Bedarfe am Markt dynamisch reagieren zu können. Daraus resultieren Leerstände, die den Wohnungsmarkt und die Wirtschaft beeinträchtigen. Bei Nutzungsänderungen fällt allein für die Bewertung der notwendigen Stellplätze ein enormer Aufwand an. So müssen Baubeschreibungen nach § 13 NBauVorlVO im Zweifelsfall die beabsichtigte Nutzung der gesamten baulichen Anlage aufzeigen, also auch für Nutzungseinheiten im Gebäude, die nicht von der Nutzungsänderung betroffen sind und deren Nutzer auch nicht auskunftsfreudig sind.
Angeregt wird, bauliche Anlagen von Anfang so zu planen und auch direkt so genehmigen zu lassen, dass unterschiedliche Nutzungen ohne weitergehende baurechtliche Verfahren möglich sind. Zudem sollte bei einer Rückkehr zu einer in der Vergangenheit liegenden und damals zugelassenen Nutzung keine Nutzungsänderungsverfahren mehr notwendig sein.
8. Wiederverwendung von gebrauchten Materialien ohne Zertifizierung oder Nichtverbundstoffen
Die Wiederverwendung von Materialien ist eine ökologisch erstrebenswerte Bauweise. Dem steht das Problem der Verantwortung entgegen. Niemand möchte die Verantwortung für die ungeprüften Materialien übernehmen. Auch das Problem von leicht beschädigten Bauteilen kommt immer wieder vor. Ein Stahlträger mit einem leichten Makel wird evtl. nicht mehr eingebaut, weil auch hier niemand die Verantwortung übernehmen möchte.
Wiederverwendung von Materialien ist ebenso im Bereich der Energieeffizienzberechnung problematisch. Weil keine theoretischen Werte zur Verfügung stehen, wird beim Bauen davon vorzeitig Abstand genommen, weil die Erstellung eines Energieausweises bei Verwendung diese wiederverwendeten Materialien erschwert wird. Es wird angeregt hier größere Toleranzen bei der Energieeffizienz im Realbetrieb zuzulassen.
9. Pkw-Stellplätze
Erledigt durch gesetzliche Umsetzung.
10. Grenzabstände
Erledigt durch gesetzliche Umsetzung
11. Brüstungen
Ein Unterschied zwischen der MBO und der NBauO liegt bei den Anforderungen an die Ausführung der Brüstungen bei offenen Gängen mit mehr als einer Fluchtrichtung. Während diese in Niedersachsen aufgrund des § 17 Abs.7 DVO-NBauO immer mindesten geschlossen und nicht brennbar (Verglasungen in F30) sein müssen, gibt es nach MBO prinzipiell keine brandschutztechnischen Anforderungen, d. h. es sind auch leichte Konstruktion (Stabgeländer o. ä.) möglich. Aufgrund dieses wesentlichen Unterschieds sind Laubengänge in Niedersachsen wenig attraktiv und haben ein schlechtes Image. Sie sind aber oft ein notwendiges Mittel, um kleine Wohnungen zu erschließen.