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Ein halbes Jahrhundert

1970: Willy Brand fällt in Warschau auf die Knie, in Niedersachsen stellt die SPD auch nach der Landtagswahl den Ministerpräsidenten, Brasilien gewinnt das WM-Endspiel, Jimi Hendrix stirbt. Und im Mai wird in Hannover die Architektenkammer Niedersachsen gegründet, um den Architektinnen und Architekten im Land eine Stimme zu geben. Ein kurzer Rückblick auf 50 Jahre Architektenkammer Niedersachsen.

Ein halbes Jahrhundert ist das her und bis heute verwaltet sich der Berufsstand erfolgreich selbst. Die Kammer spricht mit der Politik, fördert die Baukultur, unterstützt ihre Mitglieder, wirbt für die Leistungen von Architekten, Innen- und Landschaftsarchitekten sowie Stadtplanern. 2020 feiert die Kammer 50jährigen Geburtstag. Grund, kurz auf ihre Geschichte zurückzublicken.

Die beginnt bereits vor dem zweiten Weltkrieg, denn schon damals wird von der Politik an einem Referentenentwurf zu einem ersten Architektengesetz gearbeitet. Nach dem Krieg werden die Bemühungen ab 1947 wieder aufgenommen. Das Saarland erhält als erstes Bundesland ein Architektengesetz. In Niedersachsen dauert es länger, doch auch hier macht der Beitritt der Bundesrepublik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG eine qualifizierte Festlegung der Berufsbezeichnung Architekt erforderlich, wie sich Gründungspräsident Friedrich Lindau einst in einem Gespräch mit dem DAB erinnert.

1964 kommt es zu ersten Besprechungen mit den Parteien, den Hochschulen und dem Wirtschaftsministerium. Ziel ist vor allem die Abgrenzung gegenüber den anderen bauenden Berufsgruppen. Zudem bietet eine Kammer die Chance einer Zusammenarbeit der Architektenverbände. Am 23. Februar 1970 ist es endlich soweit, das Niedersächsische Architektengesetz wird verabschiedet. Am 5. Mai desselben Jahres findet die konstituierende Sitzung im niedersächsischen Landtag statt. Pflichtmitglieder der neuen Kammer werden zunächst nur freischaffende Architekten. Im Rahmen einer Übergangsregelung werden alle die die Berufsbezeichnung „Architekt“ bereits geführt haben, als Besitzständler ohne weitere Prüfung eingetragen. Erst später müssen Qualifikationsnachweise erbracht werden. Lindau soll nach vollbrachter Tat erschöpft dem ersten Kammergeschäftsführer Wulf von Appen, der als Jurist maßgeblich an der Formulierung des Architektengesetzes beteiligt gewesen war, vor dem Landtag in die Augen geschaut und gesagt haben: „Dann machen Sie mal die Kammer.“

Von Appen richtet eine erste Geschäftsstelle in der Bödekerstraße in Hannover ein. Bereits 1972 wird Jakob Awik neuer Geschäftsführer und 1976 zieht die Kammer in die Hindenburgstraße um. Früh wird eine Schlichtungsordnung entwickelt und ein Fürsorgewerk gegründet. 1974 tritt die NBauO in Kraft.

1975 übernimmt Carsten Mannhardt von Lindau das Präsidentenamt. Mannhardt ist es, der die Kammer aus der Gründung heraus ins Laufen bringt und der noch immer heterogen agierenden Architektenschaft eine gemeinsame starke Stimme gibt. Er führt zahlreiche politische Gespräche und schafft so langsam ein Bewusstsein für die Bedeutung der Architektenschaft. 1979 gelingt mit seiner Mitwirkung die Gründung des Versorgungswerks. Zunächst nur für freischaffende und baugewerbliche Architekten, kommen 1986 dann auch die angestellten und beamteten hinzu.

1982 holt Mannhardt im Rahmen der Bauausstellung „Constructa“ den 5. Deutschen Architektentag nach Hannover und begrüßt dort den damaligen Bundespräsidenten Carl Carstens. Und die Constructa bleibt weiter mit seinem Wirken verbunden. 1990 empfängt Mannhardt auf der Messe die Kolleginnen und Kollegen aus der ehemaligen DDR. Die Architektenkammer Niedersachsen unterstützt in den folgenden Jahren die Formulierung eines Architektengesetzes für Sachsen-Anhalt und die Gründung der dortigen Kammer. Vor allem der damalige Kammergeschäftsführer Eike Schlömlich formuliert intensiv an den gesetzlichen Regelungen für das neue Bundesland mit.

Im Oktober 1991 wir Peter Stahrenberg dritter Kammerpräsident. Die Pflichtmitgliedschaft aller, der freischaffenden, baugewerblichen, angestellten und beamteten Architekten, wird unter dem Schlagwort „Große Kammer“ bekannt. Stahrenberg macht die Kammer in allen fachlichen, städtebaulichen, architektonischen oder baurechtlichen Fragen zum ersten Ansprechpartner der Politik. 1994 stimmt der Niedersächsische Landtag der Auslobung eines Staatspreises für Architektur zu, der ab 2002 Gemeinsam von Land und Kammer organisiert und verliehen wird.

Stahrenberg liegt neben der Berufspolitik auch die Förderung des beruflichen Nachwuchses am Herzen und so gründet er 1998 die gleichnamige Stiftung, die 2007 zur Lavesstiftung wird. Der von Anfang an ausgelobte und von Stahrenberg initiierte Studentenförderpreis wird bis heute jährlich – mittlerweile unter dem Namen Lavespreis – an Studierende verliehen. Steht zu Beginn vor allem das Detail im Gesamtentwurf im Fokus des Förderpreises, rückt heute verstärkt die Nachhaltigkeit in den Vordergrund.

Und noch etwas bleibt mit Stahrenbergs Präsidentschaft verbunden: 1998 kauft er für die Kammer das ehemalige Wohnhaus des Architekten Georg Friedrich Ludwig Laves samt Ateliergebäude in der Innenstadt von Hannover und macht das Laveshaus zum Zentrum des Berufsstandes in Niedersachsen – Ort der politischen und kulturellen Begegnung und ein architektonisches Kleinod. Der neue Geschäftsführer, Dr. Mathias Meyer, nimmt ab 2001 hier seine Arbeit auf.

Nachfolger von Stahrenberg wird 2003 der Architekt Wolfgang Schneider. Er stärkt in den folgenden Jahren vor allem die Öffentlichkeitsarbeit der Kammer. Bauherrenseminare, Wanderausstellungen, Messen oder auch der immer mehr Besucher anlockende Tag der Architektur stehen dafür als Beispiel – ebenso wie das Buch „Architektur in Niedersachsen“ oder die Reihe „Architektur im Dialog“ der Lavesstiftung wo bekannte Architekturgrößen wie Jürgen Engel, Volker Staab oder Regina Leibinger auftreten, aber auch fachfremde Persönlichkeiten wie die Politikerin Gesine Schwan oder der damalige Ministerpräsident Christian Wulff. Die Zusammenarbeit mit dem Land wird intensiviert, der Staatspreis zum größten Architekturpreis in Niedersachsen, das gemeinsam mit dem Umweltministerium durchgeführte Symposium zum jährlichen Diskussionsort für aktuelle baukulturelle Themen. Auch der Wettbewerb“ Wohnraum schaffen“ wird 2016 gemeinsam mit dem Land ausgelobt, um im Zuge der Flüchtlingskrise nach neuen Ideen zum kostengünstigen Wohnungsbau zu suchen. Der jährliche politische Abend wird als „Architekten und Politik“ etabliert. Großevent in Schneiders Amtszeit ist 2015 der 15. Deutsche Architektentag im Schloss Herrenhausen in Hannover, mit Live-Schalte aus Berlin des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier.

Stahrenberg ist es, der noch 2018 als Alterspräsident die Wahl zu Schneiders Nachfolger leitet; auch Mannhardt ist abends dabei, als Robert Marlows Amtsantritt gefeiert wird. Stahrenberg stirbt – ebenso wie Mannhardt – im April 2020, Lindau war bereits 2007 im Alter von 92 Jahren verstorben.

Robert Marlow steuert die Kammer zunächst durch eine solide wirtschaftliche Situation, muss aber seit März 2020 die Corona-Krise und damit eine Zeit großer Unsicherheit auch im Berufsstand meistern. Er stärkt die Präsens der Kammer in den Regionen, fördert die Digitalisierung und wird in Zukunft mit einem novellierten Architektengesetz den Nachweis der Fortbildung, Register für besondere Qualifikationen und eine Juniormitgliedschaft in der Kammer etablieren.

Und so war, ist und bleibt die Kammer seit 50 Jahren Zentrum des berufspolitischen Wirkens der niedersächsischen Architektinnen und Architekten. Dies sollte 2020 mit vier Veranstaltungen in den Regionen mit den Mitgliedern gefeiert werden. Corona machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung – nicht jedoch dem ungebrochenem Engagement von 10.000 Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern in Niedersachsen. Sie alle sind und bleiben die Kammer.