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Großwohnsiedlungen auf der grünen Wiese

| Fachmeldungen

Kritische Betrachtung zu den Plänen des Bundeskanzlers

Berlin, 14.11.2023 | Die Bundesarchitektenkammer (BAK) äußert erhebliche Bedenken gegenüber dem Vorschlag des Bundeskanzlers, Großwohnsiedlungen auf der grünen Wiese, ähnlich denen der 1970er Jahre, zu errichten. Wir möchten nachdrücklich auf folgende Aspekte hinweisen:

  1. Klimaschutz:
    Die Errichtung von Großwohnsiedlungen in bisher unbebauten Gebieten steht im Widerspruch zu den aktuellen Klimaschutzzielen. Sie würde zu einer erhöhten CO2-Belastung durch neue Baumaßnahmen und längere Pendelstrecken führen.
  2. Flächenversiegelung:
    Der Vorschlag würde eine erhebliche Flächenversiegelung zur Folge haben, die die natürlichen Lebensräume, den Wasserhaushalt und die Biodiversität beeinträchtigt. Dies steht im Gegensatz zu nachhaltigen Entwicklungszielen.
  3. Bestandsnutzung und Umnutzung:
    Wir empfehlen stattdessen die Fokussierung auf die Nutzung und Umnutzung bestehender Strukturen. Insbesondere die Umwandlung leerstehender Kaufhäuser und Bürobauten in Wohnraum wäre eine effiziente und ressourcenschonende Alternative.
  4. Suffizienz der Wohnflächen:
    Eine sorgfältige Planung der Wohnflächennutzung ist unerlässlich, um eine effiziente Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten. Überdimensionierte Wohnflächen sollten vermieden werden.
  5. Gemischte Stadt:
    Wir befürworten das Konzept der „gemischten Stadt“, das eine Integration verschiedener sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Funktionen in urbanen Räumen vorsieht. Dies fördert die soziale Interaktion und verringert den Bedarf an Verkehr.
  6. Leipzig Charta und Neues Europäisches Bauhaus:
    Unsere Ansichten stehen im Einklang mit den Grundsätzen der Leipzig Charta und des Neuen Europäischen Bauhauses, die eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Förderung der kulturellen Vielfalt betonen.
  7. Erschließung mit Infrastruktur:
    Die Erschließung neuer Gebiete würde enorme Investitionen in die Infrastruktur erfordern. Es ist ökonomisch und ökologisch sinnvoller, bestehende Strukturen zu optimieren.
  8. CO2 als Maßstab:
    Bei allen Bauprojekten sollte der CO2-Fußabdruck als zentraler Maßstab für Nachhaltigkeit dienen.

„Wir brauchen ein umfassendes Kataster der Potentiale als Grundlage, um ungenutzte und wieder verwendbare Flächen in bestehenden urbanen und suburbanen Gebieten zu identifizieren,“ sagt die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer Andrea Gebhard. „Hier müssen wir auch ganz besonders die Gewerbegebiete in den Blick nehmen, die aufgrund ihrer bereits erfolgten Erschließung wesentlich schneller zu Mischgebieten mit Wohnraum umgewandelt werden könnten.“

Als Mitglied im Bündnis für bezahlbaren Wohnraum der Bundesregierung hat die Bundesarchitektenkammer an der Erarbeitung von über 170 Vorschlägen zur Förderung bezahlbaren Wohnraums mitgearbeitet und gemeinsam beim Wohnungsbaugipfel am 25.9.2023 einen 14-Punkte Plan verabschiedet. „Der jetzige Vorschlag des Bundeskanzlers steht diesen Vorschlägen erstaunlicherweise diametral entgegen“, so Andrea Gebhard.


Hintergrundinfos

Vorschlag der Bundesregierung einer befristeten Sonderregelung für den Wohnungsbau im BauGB (§246e)

Im November 2023 forderte Bundeskanzler Olaf Scholz ein Umdenken beim Bauen. Konkret sprach er vom „Bau von 20 neuen Stadtteilen (…) wie in den 70er Jahren“. Zeitgleich legte das Bundesbauministerium (BMWSB) einen Entwurf zur Einführung einer befristeten Sonderregelung für den Wohnungsbau in das Baugesetzbuch vor. Der Gesetzesentwurf sieht die Einführung des § 246e BauGB vor, der bis zum 31. Dezember 2026 eine Sonderregelung für den Wohnungsbau in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten ermöglicht. Diese Regelung gestattet Abweichungen von bestehenden baurechtlichen Vorschriften für Wohnungsbauprojekte – insbesondere für die Errichtung von Wohngebäuden mit mindestens sechs Wohnungen sowie für Erweiterungs-, Änderungs- oder Erneuerungsmaßnahmen bestehender Gebäude.

Intention der Bundesregierung

Durch die Sonderregelung im Baugesetzbuch, möchte die Bundesregierung für mehr Tempo beim Wohnungsbau sorgen. Dies soll darüber ermöglicht werden, dass Kommunen durch die Nutzung des "Bau-Turbos", d.h. durch Bezugnahme auf §246e, auf einen Bebauungsplan verzichten können. Dies soll nach dem Kalkül der Bundesregierung die Bauämter vor Ort entlasten und Genehmigungsverfahren beschleunigen.

Bisherige und geplante Maßnahmen der BAK

Die BAK hat die Ankündigung des Bundeskanzlers und den Sonderregelungsvorschlag zum BauGB mit Besorgnis wahrgenommen und bereits Anfang Dezember 2023 einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz zum Thema §246e BauGB unterschrieben. Initiatoren des Briefes waren Prof. Anette Hillebrandt und die DGNB.
Nun nimmt die BAK gemeinsam mit weiteren Verbänden und Institutionen einen erneuten Anlauf, um auf die parlamentarische Beratung zum Gesetzvorschlag Einfluss zu nehmen und um die Presse bzgl. der Auswirkungen der Sonderregelung zu informieren.

Zentrale Kritikpunkte der BAK (und der mitzeichnenden Verbände)

Die Kritik am geplanten § 246e BauGB, zielt auf drei zentrale Aspekte ab.

  • Bau-Turbo geht zulasten von Planungskultur und demokratischer Bodenordnung: Demokratieabbau:
    § 246e BauGB ist nicht ausreichend fachlich begründet und geht zu Lasten von Planungskultur und demokratischer Bodenordnung.
  • Fehlende Beitrag zur Bewältigung der Wohnungskrise:
    Der § 246e BauGB bietet keine wirksamen Maßnahmen zur Bewältigung der Wohnungskrise bietet. Die Bezahlbarkeit der betroffenen Wohneinheiten wird nicht sichergestellt, klare Anforderungen an sozial geförderten Wohnraum fehlen, und es besteht die Gefahr von Verdrängungsprozessen durch Umgehung von Mietpreisregelungen.
  • Förderung von Fehlentwicklungen und Umweltauswirkungen:
    Der § 246e BauGB fördert siedlungsstrukturelle Fehlentwicklungen und ist umweltpolitisch problematisch. Die Regelung verschärft die Zersiedelungsproblematik, behindert die Erreichung von Flächenverbrauchszielen und setzt falsche Anreize für den Abriss und Neubau. Dies steht im Widerspruch zu Klimazielen und vernachlässigt den notwendigen Fokus auf den Innenbereich.