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Das Grundstück und seine Bebaubarkeit

| Fachmeldungen

Soll ein Grundstück bebaut werden, müssen Architektinnen und Architekten bei ihrer Planung die Rahmenbedingungen durch Bebauungspläne beachten

Soll ein Grundstück bebaut werden, muss der Architekt bei seiner Planung die Rahmenbedingungen durch Bebauungspläne beachten. Allerdings sehen verschiedene Rechtsvorschriften die Möglichkeit vor, von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes oder auch von anderen gesetzlichen Vorgaben abrücken zu dürfen, wenn dieses genehmigt wurde. Die folgenden Ausführungen sollen ein grundlegendes Verständnis zu den Festsetzungen der Baugebiete sowie zu Baugrenzen, Baulinien und Bebauungstiefen liefern und aufzeigen, welche Durchbrechungen von den Festsetzungen möglich sind. Vertieft wird dabei noch auf eine Problematik zur Zulassung von Nebenanlagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen nach § 23 Abs. 5 BauNVO eingegangen.

Grundsatz der Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans

Ein Bebauungsplan ergeht nach § 10 Abs. 1 BauGB in Form einer Satzung, die seitens der zuständigen Gemeinde erlassen wird. Bei einem qualifizierten Bebauungsplan nach § 30 Abs. 1 BauGB müssen mindestens drei Festsetzungen enthalten sein. Dazu zählen Festsetzungen über die örtlichen Verkehrsflächen, über die Art und das Maß der baulichen Nutzung und solche über die überbaubaren Grundstücksflächen. Diese Festsetzungen bilden den Rahmen und grundsätzlich auch die Grenze der Bebaubarkeit.

Die Baugebiete

Neben den Regelungen aus dem BauGB ist für diese Festsetzungen die BauNVO maßgeblich. Diese konkretisiert die Festsetzungen durch eine Beschreibung der verschiedenen Baugebiete und der darin typischerweise zulässigen Formen der Bebauung. § 1 Abs. 2 BauNVO nennt die verschiedenen in Betracht kommenden Baugebiete, zu denen z.B. allgemeine Wohngebiete (Nr. 3) oder Industriegebiete (Nr. 11) zählen. Sofern eine Festsetzung eines Gebietes nach § 1 Abs. 2 BauNVO erfolgt, wird diese Bestandteil des Bebauungsplans und es gelten die §§ 2 – 14 BauNVO. Für die einzelnen Baugebiete ist jeweils geregelt, welche Nutzungsarten dort zulässig sind und welche Nutzungsarten dort ausnahmsweise zugelassen werden können.

Beispiel: Beinhaltet der Bebauungsplan die Bezeichnung "WR", ist damit nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO ein „reines Wohngebiet“ gemeint. § 3 BauNVO regelt die darin zulässige Bebauung. § 3 Abs. 2 BauNVO bestimmt die zulässige Regelbebauung (z.B. Wohngebäude) und in § 3 Abs. 3 BauNVO sind Ausnahmebebauungen vorgesehen, die zugelassen werden können (z.B. nicht störende Handwerksbetriebe).

Baugrenzen, Baulinien und Bebauungstiefen

Neben den allgemeinen Festsetzungen des jeweiligen Baugebietes i.S.d. §§ 2-14 BauNVO, sieht § 23 BauNVO vor, dass Baulinien, Baugrenzen und Bebauungstiefen die Bebaubarkeit einschränken können. Sind Baulinien festgesetzt, muss die bauliche Anlage an diese herangebaut werden, darf sie aber weder über- noch unterschreiten, § 23 Abs. 2 S. 1 BauNVO. Bei der Festsetzung von Baugrenzen dürfen diese von der baulichen Anlage nicht überschritten werden, wohingegen ein Zurückbleiben hinter der Baugrenze zulässig ist, § 23 Abs. 3 S. 1 BauNVO. Bebauungstiefen i.S.d. § 23 Abs. 4 BauNVO stehen von ihrer Wirkung einer Baugrenze gleich und werden in der Regel von Straßengrenzen aus ermittelt.

Exkurs: Ausnahmen, Befreiungen, Abweichungen

§ 31 BauGB sieht die Möglichkeit von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes vor. Nach § 31 Abs. 1 BauGB können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan selbst nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. Dies ist häufig der Fall für die jeweils in den Absätzen 3 der §§ 2 ff. BauNVO ausnahmsweise vorgesehenen Nutzungen. Die Ausnahme muss insoweit Bestandteil des Bebauungsplans sein. Erforderlich ist, dass Art und Inhalt der Ausnahme hinreichend bestimmt sind. Hinzukommt, dass die Ausnahme die Anforderungen an die Gebietsverträglichkeit wahren muss. Weiterhin bedarf es dem Einvernehmen der Gemeinde i.S.d. § 36 BauGB. Die Erteilung einer Ausnahme ist damit in das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellt. Auch in anderen Vorschriften finden sich Ausnahmemöglichkeiten (z.B. § 16 Abs. 6 BauNVO zu Ausnahmen vom festgesetzten Maß der baulichen Nutzung).

§ 31 Abs. 2 BauGB sieht vor, dass Befreiungen erteilt werden können, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und einer der unter den Nummern 1-3 genannten Gründe vorliegt und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Auch hier bedarf es des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB.

Von den Ausnahmen und Befreiungen sind die Abweichungen zu unterscheiden. Die Möglichkeit einer Abweichung ergibt sich aus dem Gesetz. Notwendig ist die Erfüllung der in dieser Norm genannten Voraussetzungen. Derartige Abweichungen sind in verschiedenen Gesetzen zu finden, z.B. in § 66 NBauO, in § 56 GEG oder auch in § 18 BauNVO.

Durchbrechungen zu den Festsetzungen aus § 23 BauNVO

Durchbrechungen zu den Wirkungen der Baugrenzen, Baulinien und Bebauungstiefen sind in § 23 Abs. 2 S. 2 und 3, Abs. 3 S. 2 und 3 und Abs. 5 BauNVO normiert. So kann etwa nach § 23 Abs. 2 S. 2 BauNVO ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Maß zugelassen werden. § 23 Abs. 5 BauNVO sieht vor, dass wenn der Bebauungsplan keine abweichenden Festsetzungen enthält, auf nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO sowie bauliche Anlagen zugelassen werden können, sofern letztere den landesspezifischen Abstandsflächenregelungen entsprechen. Bevor eine Zulassung gem. § 23 Abs. 5 BauNVO in Betracht kommt, bedarf es folglich der vorrangigen Prüfung der Festsetzungen des Bebauungsplanes. Erst wenn in diesem keine entgegenstehenden Festsetzungen vorhanden sind, kann der Antrag auf Zulassung i.S.d. § 23 Abs. 5 BauNVO mit Erfolgsaussicht verfolgt werden.

Fraglich ist, welchen Charakter diese Sonderfälle haben. Bei § 23 Abs. 2 BauNVO handelt es sich nach Einschätzung der juristischen Literatur um eine Abweichung i.S.d. § 66 NBauO.[1] § 23 Abs. 3 BauNVO ist als Ausnahme i.S.d. § 31 BauGB zu qualifizieren.[2]

Bei § 23 Abs. 5 BauNVO ist der Charakter fraglich. Die Wortwendung „zugelassen werden“ zeigt lediglich, dass es eines Verfahrens der Zulassung durch die Bauaufsichtsbehörde bedarf, klärt aber nicht die Verfahrensart. In der juristischen Literatur geht die herrschende Meinung davon aus, dass es sich jedenfalls nicht um eine Ausnahme handelt.[3] Darüber hinaus dürfte es sich auch nicht um eine Befreiung oder eine Abweichung i.S.d. § 66 NBauO handeln, da sich „die Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO nicht auf die NBauO oder die auf ihrer Grundlage erlassenen Vorschriften bezieht.“[4] Vielmehr handelt es sich wohl um einen „aus sich heraus geltenden Tatbestand“ und damit einer Sonderform eigener Art.[5] Daran ändert auch der Verweis des § 66 Abs. 6 NBauO nichts, der besagt, dass die Verfahrensregelungen aus § 66 Abs. 2 und 3 NBauO auch für Ausnahmen und Befreiungen Anwendung finden und dabei auf „andere Vorschriften des öffentlichen Baurechts“ verweist und damit auch die Vorschriften der BauNVO in Bezug nimmt.

Bemerkenswert ist, dass es für die Stellung eines Antrages nach § 23 Abs. 5 BauNVO auf Zulassung von Nebenanlagen oder baulichen Anlagen auf nicht überbaubaren Grundstücksflächen unterschiedliche Formulare innerhalb Niedersachsens gibt. Einige Baubehörden sehen hierfür ein eigenständiges Formular vor (z.B. Braunschweig und Oldenburg). Auch hieraus ist zu schließen, dass die betreffenden Baubehörden das Verfahren nicht als Ausnahme, Befreiung oder Abweichung einstufen, da sonst das bauaufsichtlich eingeführte Formular zur Anwendung käme. Es stellt sich also die Frage, wie Antragsteller vorzugehen haben, um die gewünschte Zulassung i.S.d. § 23 Abs. 5 BauNVO zu erreichen.

Die Frage ist nicht rein theoretischer Natur. Für das Mitteilungsverfahren nach § 62 NBauO ist Voraussetzung, dass notwendige Ausnahmen, Befreiungen oder Abweichungen nach § 66 NBauO bereits erteilt sind (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 und 2 NBauO). Wenn das Verfahren nach § 23 Abs. 5 BauNVO keinem dieser Verfahren zugeordnet werden kann, könnte dieses bedeuten, dass das Mitteilungsverfahren gar nicht genutzt werden kann.

Zur Klärung der Verfahrensart und des einschlägigen Formulars hat sich die Architektenkammer Niedersachsen an das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz (MU) als oberste Bauaufsicht gewandt und um eine Stellungnahme hierzu gebeten. Das MU hat die Anfrage wie folgt beantwortet:

„Formular zu einer Abweichung nach § 23 BauNVO:                   

Nach § 23 Baunutzungsverordnung können geringfügige Überschreitungen von Baulinien, Baugrenzen und Bebauungstiefen sowie die Errichtung von Nebenanlagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden. Dass es ich um Ausnahmetatbestände handelt, ergibt sich nach hiesiger Auffassung aus § 23 Abs. 2 Satz 3 BauNVO.

Aufgrund des Runderlasses des MU vom 20.08.2019 (Nds. MBl. Nr. 34/2019 S. 1252, berichtigt durch Nds. MBl. Nr. 37/2019 S. 1352) ist zu den Anträgen nach § 66 NBauO für die Zulassung einer Abweichung oder die Erteilung einer Ausnahme oder die Befreiung ein Formular der Anlage 4 des Erlasses zu verwenden. Da § 66 Abs. 6 NBauO für Ausnahmen und Befreiungen jeglicher anderer Vorschriften des öffentlichen Baurechts gilt – gilt also das Formular zu § 66 NBauO auch für die in § 23 BauNVO aufgeführten Ausnahmetatbestände.“

Das Ministerium folgert also aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 2 BauNVO, der tatsächlich von Ausnahmen spricht, dass es sich auch bei dem Verfahren nach § 23 Abs. 5 BauNVO um eine Ausnahme handelt und folglich das bauaufsichtlich eingeführte Formular zu verwenden ist. Hieraus folgt des Weiteren, dass auch in Fällen des § 23 Abs. 5 BauNVO das Mitteilungsverfahren nach § 62 NBauO gewählt werden kann.

Man könnte die Auffassung des Ministeriums rechtsdogmatisch hinterfragen, da § 23 Abs. 5 BauNVO gerade nicht den Begriff „Ausnahme“ verwendete und die juristische Literatur davon ausgeht, dass es sich nicht um eine Ausnahme, Befreiung oder Abweichung handelt. Die Haltung des Ministeriums ist aber pragmatisch, da sie für die Architektinnen und Architekten einen bekannten Weg eröffnet.

Empfehlung zum Vorgehen für Kammermitglieder

Es ist im Grundsatz begrüßenswert, dass sich einzelne Baubehörden des Problems der Einordnung von § 23 Abs. 5 BauNVO durch gesonderte Formulare angenommen haben, mit der Äußerung des Ministeriums ist der Bedarf hierfür aber eigentlich entfallen. Vor dem Hintergrund der uneinheitlichen Handhabung ist es sicherlich zweckmäßig, vor der Stellung eines Antrages auf Zulassung i.S.d. § 23 Abs. 5 BauNVO mit der Bauaufsichtsbehörde in Verbindung zu treten um abzuklären, wie die entsprechende Bauaufsichtsbehörde derartige Anträge einordnet.

Wenn man sich als Architektin oder Architekt, wie vom Ministerium vorgesehen, des allgemeinen Formulars zu § 66 NBauO bedient, dürfte die größte Rechtssicherheit in Hinblick auf die gewünschte Zulassung bestehen. Dies ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass das Ministerium als oberste Bauaufsichtsbehörde in Niedersachsen die Rechtsaufsicht über die unteren Bauaufsichtsbehörden ausübt und kaum damit zu rechnen ist, dass sich die unteren Bauaufsichtsbehörden gegen die Auffassung ihrer Aufsicht stellen werden.

Henry Straßburg

 

[1] Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger BauNVO § 23 Rn. 36 ff.

[2] Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger BauNVO § 23 Rn. 44.

[3] Thomas/Spilsbury in: Rixner/Biedermann/Stegner PK-BauGB/BauNVO, § 23 BauNVO Rn. 21; Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger BauNVO § 23 Rn. 47.

[4] Burzynska/Tepperwien in: Große-Suchsdorf NBauO, § 62 Rn. 37.

[5] Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Weiss BauNVO, § 23 Rn. 12.